Hubert Burda und die ‚Sympathiekundgebung für die Pinakothek der Moderne’
von Klaus Wittkamp
Nur ein einziges Mal war es gelungen, den besten deutschen Fußballspieler und den wichtigsten deutschen Maler des 20. Jahrhunderts zusammenzubringen.
Dies geschah, nachdem Franz Beckenbauer sich entschlossen hatte, in einer Zeitungsanzeige sein Porträtfoto neben einem Gemälde von Max Beckmann abbilden zu lassen. Ermöglicht wurde dieses Gipfeltreffen von Hubert Burda, der in einer kunstsinnigen Spendenkampagne die Bürger dazu aufrief, möglichst viel Geld für die Münchner Pinakothek der Moderne zu sammeln. Was war geschehen? Wie kam der geniale Libero dazu, sich mit Beckmanns rätselhaftem ‚Stilleben mit Fernrohr’ einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren?
Wir erinnern uns.
München war schon immer eine Stadt, in der die Alten Meister größere Chancen hatten als die Meister der Moderne. Die zeitgenössische Kunst stand immer ein wenig im Abseits. Während seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in vielen deutschen Städten epochemachende, architektonisch bedeutsame Museen entstehen, ist die ‚Staatsgalerie für moderne Kunst’ im dafür völlig ungeeigneten Haus der Kunst untergebracht. Die Bestände der Neuen Sammlung, eines der weltweit führenden Museen für angewandte Kunst des 20. Jahrhunderts, werden wegen Raummangels als Leihgaben auf Weltreise geschickt; das Architekturmuseum und die Graphische Sammlung besitzen weder eigene Gebäude, noch geeignete Ausstellungsräume. Dieser Zustand ist nicht nur schlecht für die Kunst und das Ansehen Münchens, sondern enttäuscht auch viele Sammler, die ihre Leihgaben, Stiftungen oder Schenkungen in den Depots verschwinden sehen.
Aus diesem Grund beschließt die Bayerische Staatsregierung zu Beginn der 90er Jahre – nach langem Zögern und auf erheblichen Druck der Medien –, in München ein neues Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts zu errichten. Da der Ministerpräsident aber nicht sicher ist, ob die bayerische Bevölkerung tatsächlich bereit ist, für die Kunst von Pablo Picasso oder Joseph Beuys erhebliche Summen auszugeben, verknüpft er den Regierungsbeschluß mit einer bis zu diesem Zeitpunkt einmaligen Forderung. Bevor der Freistaat die Finanzierung übernimmt, so lautet die Vorgabe, sollen zehn Prozent der Bausumme, also 20 Millionen DM, von privater Seite zusammengetragen werden.
Von diesem Zeitpunkt an ist die Pinakothek der Moderne angewiesen auf das kluge Engagement und die ausdauernde Phantasie zahlreicher Persönlichkeiten und Instanzen und vor allem der Münchner Bürger. Im Zentrum der Aktivitäten steht die eigens zum Zwecke des ‚Fund Raising’ gegründete ‚Stiftung Pinakothek der Moderne’, die unter der Schirmherrschaft von Herzog Franz von Bayern und der besonderen Mitwirkung des Generaldirektors der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Johann Georg Prinz von Hohenzollern, die Herausforderung des Freistaates annimmt.
Zu den herausragenden Initiativen, die in den folgenden Wochen gestartet werden, gehört die „Sympathiekundgebung für die Pinakothek der Moderne“, die Hubert Burda ins Leben ruft. Als Kuratoriumsmitglied ist der Verleger dazu aufgerufen, mit einer beträchtlichen Spende zum Bau des neuen Museums beizutragen. Nun gehörte es noch nie zur Mentalität Hubert Burdas, anonym und ohne synergetische Effekte ein öffentliches Vorhaben zu begleiten. Er bevorzugt die ungewöhnliche Kampagne. Er richtet den Blick auf neue Strategien und Wahrnehmungsformen. Leidenschaftlich sucht er nach ebenso zeitgemäßen wie erregenden Formen einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“.
Tatsächlich ist es vor allem eine neue Qualität der Aufmerksamkeit, die Hubert Burda mit seiner ‚Sympathiekundgebung’ herstellen möchte. Er entwickelt die Idee, Freunde und Förderer aus der gesamten Bürgerschaft sowie Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, aus Kunst, Kultur und Sport zu finden, die in einer Anzeigenkampagne öffentlich zu Spenden aufrufen und sich somit als Förderer der modernen Kunst zu erkennen geben. Gleichzeitig sollen sie mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie selbst eine großzügige Spende leisten. Veröffentlicht werden die Anzeigen in den vier großen Münchner Tageszeitungen, der ‚Süddeutschen Zeitung’, der ‚Abendzeitung’, der ‚tz’ und dem ‚Münchner Merkur’. In diesen Anzeigen kann jeder Teilnehmer mit seinem Porträtfoto, seinem Namen und einem Kunstwerk seiner Wahl dazu aufrufen, sich ebenfalls für die Pinakothek der Moderne zu engagieren.
Der Erfolg der ‚Sympathiekundgebung’ ist durchschlagend. In den folgenden Wochen erscheinen täglich Anzeigen, in denen Persönlichkeiten, die man bis zu diesem Zeitpunkt kaum mit Kunst in Zusammenhang bringen konnte, für das neue Museum werben. Zunächst sind es die prominenten Namen, die Aufsehen erregen: Franz Beckenbauer lässt sich mit Max Beckmann abbilden, Willy Bogner mit einer Landschaft von Picasso, Roland Berger mit einer Liebeserklärung für Robert Motherwell, Gerd Käfer mit einer Abstraktion von Kandinsky. Auch große Unternehmen finden sich unter den Teilnehmern, entweder mit ihrem Logo oder dem Porträt ihres Vorstandsvorsitzenden. Die Liste der Förderer liest sich schließlich wie ein „Who’s who“: Florian Langenscheidt, Ingvield Goetz und Markus Wasmeier sind ebenso dabei wie Siemens, Allianz oder die Münchner Rück.
Vor allem aber lebt die ‚Sympathiekundgebung’ von ungewöhnlichen Konstellationen. Wenn der Fernsehmoderator Dieter-Thomas Heck sich mit Salvador Dalís Bild ‚Das Rätsel der Begierde’ präsentiert, weckt er die Aufmerksamkeit eines Publikums, das der modernen Kunst gemeinhin eher reserviert gegenübersteht. Auch zahlreiche, sonst kulturferne Unternehmen werden erst durch die ‚Sympathiekundgebung’ für die Kunst der Moderne sensibilisiert. So beteiligt Microsoft sich nicht nur an der Anzeigenkampagne, sondern lässt sich, davon angeregt, zum Jahrestreffen seiner Europa-Manager eine exklusive Führung durch die ‚Staatsgalerie moderner Kunst’ vermitteln und spendet dafür einen sechsstelligen Betrag.
Nach Beendigung der Kampagne hat Hubert Burda sein Ziel erreicht. Mit einer ungewöhnlichen Aktion hat er eine breite Öffentlichkeit für die Pinakothek der Moderne begeistert, eine enorme Geldsumme gesammelt und darüber hinaus eine hohe Aufmerksamkeit für das eigene Haus erreicht.
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die er angeregt hat, ist im heutigen Kulturbetrieb nicht mehr selbstverständlich. Eine große Bürgerbewegung gehörte zu dem Netzwerk, das für einige Wochen die Kunst der Münchner Museen im Gespräch hielt. Künstler gaben kostenlos ihre Bildrechte frei; Zeitungsverleger stellten Platz für die Anzeigen zur Verfügung; Prominente wie Boris Becker erschienen auf Fund-Raising-Dinners, auf denen die vier Museumsdirektoren die Pläne für die Pinakothek der Moderne vorstellen konnten. Den größten Anteil am Erfolg aber hatten all jene bekannten und unbekannten Teilnehmer, die nicht nur großzügige Spenden für das Museum geleistet haben, sondern die zugleich das Wagnis auf sich nahmen, sich in aller Öffentlichkeit mit einem schwierigen Kunstwerk von Georg Baselitz, Sol LeWitt oder Joseph Beuys ablichten zu lassen. Die zahllosen Zehn-Mark-Überweisungen auf das Spendenkonto beweisen, daß die ‚Sympathiekundgebung’ auch breite Bevölkerungsschichten von der Notwendigkeit des neuen Museums überzeugen konnte.
So hat Hubert Burda wieder einmal nichts anderes getan, als seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen: neue Orte für neue Bilder zu finden, in diesem Falle die Pinakothek der Moderne, für die vor fast genau zehn Jahren der erste Spatenstich erfolgte.
Das Wort ‚Pinakothek’ leitet sich aus dem Griechischen ab und bezeichnet „den Ort, an dem man Bilder aufbewahrt“. Für Hubert Burda sind diese Bilder mehr als bemalte Leinwände oder Holztafeln. Bilder stehen für ihn in einem viel umfassenderen Kontext. Die Frage nach dem Bild impliziert den Blick auf grundlegende Formen der Wahrnehmung, zu denen ein Gemälde von Tizian oder eine Installation von Bruce Naumann ebenso gehören kann wie die darin zur Sprache kommenden Imaginationen und Einbildungen, Metaphern und Traumbilder, Erinnerungen an Vergangenes und Vorstellungen des Künftigen. Bilder sind demnach das Gegenteil von Abbildungen; sie sind Medien, die zwischen der kaum einsehbaren Welt des Unbewussten und den scheinbar so klaren Einsichten des Erkenntnisvermögens vermitteln. Eine Pinakothek ist der Aufbewahrungsort dieser Bild-Medien: sie repräsentiert nicht weniger als das kollektive Gedächtnis der Menschheit und den Blick des Menschen auf sich selbst.
Indem Hubert Burda die begnadeten Spielzüge eines Franz Beckenbauer und die bis heute unergründlichen Stilleben eines Max Beckmann zu einem einzigen Bild verdichten konnte, zeigt er uns, daß die Kunstgeschichte der Moderne vorläufig noch nicht beendet ist.